Warum wir so viel Zeit am Handy verbringen
Kennen Sie das? Eigentlich wollten Sie nur eben etwas auf Ihrem Smartphone nachsehen. Einige Zeit später ertappen Sie sich bei etwas völlig anderem, sie sind immer noch am Smartphone, wissen nicht, wie viel Zeit vergangen ist und was sie eigentlich gemacht haben. Möglicherweise sind Sie auch direkt so abgelenkt worden, dass Sie das, was Sie ursprünglich erledigen wollten, gar nicht gemacht haben.
Wir hängen am Haken
Wir verbringen oft mehr Zeit als nötig vor dem Bildschirm und das ist Absicht! Viele Anwendungen und Online-Dienste setzen gezielt Mechanismen ein, die uns an das Produkt binden sollen. Produkt- und Konsumentenbindung ist nicht neu und wird für Cornflakes genauso wie für den Streamingdienst eingesetzt. Die Cornflakes werden im einfachsten Fall nur süßer gemacht, damit sie besser schmecken, als das Konkurrenzprodukt. Der Unterschied ist aber, dass wir von den Cornflakes irgendwann gesättigt sind. Dieser Sättigungseffekt tritt am Bildschirm so nicht ein. Die digitalen Methoden uns an den „Haken“ zu nehmen sind teilweise simpel, teilweise kommen aber auch hocheffiziente Algorithmen zum Einsatz. So werden beispielsweise Nachrichten oder Videos, die den persönlichen Interessen entsprechen, mit solchen vermischt, die man weniger interessant findet. Was ich mag habe ich der App entweder mitgeteilt, und/oder die App ermittelt es anhand meiner Nutzungs- und Suchmuster. Und so geht man immer noch ein bisschen weiter, man könnte ja noch etwas verpassen. Darauf wird aber direkt abgezielt: FOMO (Fear Of Missing Out) beschreibt den Effekt, der diese Angst ständig anspricht.
In den Apps wird auch viel mit sogenannten salienten (auffälligen) Reizen gearbeitet, die aus einem bestimmten Kontext hervorgehoben sind, dadurch leichter wahrgenommen werden und somit auch unserem Bewusstsein besser zugänglich sind.
Auf saliente Reize trifft unter anderem zu, dass sie…
…besonders intensiv sind
…einen hohen Neuigkeitswert haben
…ein bestimmtes Bedürfnis erfüllen
…in bestimmten, oft unerwarteten Kontexten auftreten
So haben z. B. App-Benachrichtigungen oft einen farbigen Marker (meistens rot), der über dem App-Logo erscheint, bei besonders auffällige Benachrichtigungen fängt das ganze Icon an zu pulsieren etc., kurz, man kann kann gar nicht anders als hinzusehen und zu reagieren.
Das perfide an all diesen Mechanismen ist aber: Selbst wenn man die Methoden kennt, ist man nicht vor ihnen gefeit!
Im Folgenden seien deshalb die Gängigsten kurz vorgestellt:
Pull-to-Refresh
Entwickelt wurde die Pull-To-Refresh Action von Loren Brichter für die Applikation Tweetie, welche später von Twitter übernommen wurde. In dieser App erschien zum ersten Mal ein solcher animierter Ladeprozess wenn man mit dem Finger auf dem Display einmal nach unten gezogen hat. Seither haben mehr und mehr Applikationen den Weg zu Pull-To-Refresh Actions gefunden. Vielfach bräuchte man diese Funktion heute nicht mehr, aber sie erfüllt eine psychologische Funktion. Auch Glücksspielautomaten haben weniger Suchtpotential wenn man den Hebel nicht selber zieht. Inzwischen bereut Brichter seine Erfindung: „Smartphones sind nützliche Geräte. Aber sie machen süchtig. Pull-to-Refresh macht süchtig. […] Als ich damals daran arbeitete, war ich nicht reif genug, um über die Folgen nachzudenken. Ich sage nicht, dass ich jetzt reif bin, aber ein bisschen reifer vielleicht, und ich bereue definitiv die Schattenseiten.”
Unendliches Srollen
Eine sehr effektive Methode den Nutzer in der Anwendung zu halten ist das sogenannte „Infinite Scroll“. Vor allem in Social Media Apps wie z. B. Facebook, Instagram und TikTok. Man kann dort eine Seite scheinbar ewig weiter nach unten scrollen. Ohne Seiten oder andere Orientierungspunkte kann man dabei schnell das Zeitgefühl verlieren und verbringt so oft viel mehr Zeit als geplant in diesen Apps. Dies unterstützt auch das sogenannte „Doomscrooling“, das exzessive Konsumieren negativer Nachrichten, welches schädliche psychologische und physiologische Folgen haben kann.
Abhilfe schafft ein selbstgewähltes Zeitkontingent, welches sich auch durch Digital Wellbeing-Apps festlegen und steuern lässt. Die entsprechende Anwendung wird dann nach Ablauf der Nutzungszeit einfach geschlossen.
Autoplay
Was das unendliche Scrollen für Text- und Bild-Seiten ist, ist die Autoplay-Funktion für Videoangebote: Bei YouTube und anderen Streaming folgt oft auf ein Video direkt das nächste, welches man dann ja auch nochmal eben kurz ansehen kann. Dies fördert auch das sogenannte Binge-Whatching, das Schauen von mehreren Folgen einer Fernsehserie am Stück.
Interaktionen und Likes
Bei vielen Apps, gerade im Bereich der sozialen Medien, gibt es neben einer klassischen Kommentarfunktion auf einen Beitrag, die Möglichkeit mit Symbolen in Kurzform bestimmte Reaktionen auszudrücken (Zustimmung, Ablehnung, Lachen, Wut, Trauer etc.) Je mehr Reaktionen wir bekommen, desto besser fühlen wir uns. Besonders bei positiven Reaktionen setzt unser Gehirn den Stoff Dopamin frei, ein Neurotransmitter welcher auch als Glückshormon fungiert. Dieses gute Gefühl wollen wir natürlich häufiger haben, was dazu führt, dass wir wiederum mehr Zeit in den mit den entsprechenden Diensten verbringen. Dadurch ist ein hohes Suchtpotential gegeben.
Push-Nachrichten
Fast alle Kommunikationsanwendungen die wir heute auf unseren Smartphones haben, signalisieren uns in der Regel jede Nachricht, in dem diese auf dem Display auftaucht und das Gerät vibriert und/oder klingelt. Dies ist natürlich ein erwünschtes Verhalten, kann aber bei der Vielzahl der Onlinekommunikation die wir heute in Form von E-Mail und diversen Messengern haben, das klassische Telefongespräch nicht zu vergessen, auch häufig schon zu viel sein.
Zusätzlich gibt es Apps, die ebenfalls immer wieder mit Benachrichtigungen, so genannten Push-Nachrichten, auf sich aufmerksam machen und uns in die App locken wollen. Diese Nachrichten informieren oft kurz und knapp über Themen aus den jeweiligen Apps, so wirst man z. B. erinnert, dass man eine App länger nicht benutzt hast, hier und dort neue Artikel, Kommentare oder Likes erschienen sind oder einfach nur, wie das Wetter gerade zu Hause ist. Dadurch ist die Aufmerksamkeit, die wir dem Gerät zuwenden sollen, kontinuierlich angewachsen.
Abhilfe schafft hier nur gezieltes Ausschalten von Benachrichtigungen, evtl. auch denen von Kommunikations-Apps (z. B. dienstliche Mails nach Feierabend) und das Handy öfter mal ganz stumm zu schalten.
Belohnungen
Es gibt unterschiedliche Arten, wie Apps Nutzer für bestimmte Aufgaben und Tätigkeiten belohnen. Man auch die oben erwähnten Interaktionen und Likes dazu zählen, da sie ebenso unser körpereigenes Belohnungssystem ansprechen. Belohnungen kann man aber auch für andere Dinge und Tätigkeiten bekommen, wie z. B. erfüllte Aufgaben oder abgeschlossene Lektionen/Level. In Lern-Apps (nicht für Kinder!) kann das sogar motivierend sein. Kritisch wird es dann, wenn man beispielsweise in Spielen für diese Belohnungen sehr viel Zeit aufwenden muss und ein gewisser Druck entsteht. In vielen Spiele-Apps gibt es z. B. auch Belohnungen dafür, dass man sie jeden Tag öffnet und eine bestimmte Aufgabe erledigt.
Multiplayer-Spiele
Virtuelle Spiele haben längst auch die Smartphones erobert. Die Risiken sind hier ähnlich oder höher (weil das Gerät schenller verfügbar ist) wie am Computer oder der Konsole. Gerade bei Multiplayer-Spielen kann ein gewisser Gruppendruck entstehen zu bestimmten Zeiten spielen zu müssen und auch gewisse Spielfortschritte unter hohem Zeiteinsatz zu erreichen.
Immer wieder Thema bei solchen Spielen sind virtuelle Währungen, die man sich im Spiel verdienen, aber häufig auch mit Echtgeld kaufen kann.
Lootboxen
Auch sogenannte Lootboxen, virtuelle Behälter in Computerspielen, die eine zufällige Sammlung bestimmter Items, zum Beispiel Waffen und spezielle Gegenstände, enthalten stehen immer wieder als glücksspielähnliche Elemente in der Kritik. Die Boxen können im Spiel freigeschaltet, gefunden oder gekauft werden. Der Kauf kann dabei durch eine Spielewährung oder Echtgeld stattfinden.
Weitere Infos: https://www.schau-hin.info/sicherheit-risiken/lootboxen-gefahr-fuer-kinder